Warum ich Reddit liebe – und mich daran festhalte wie Oma an ihrer Porzellankatze
Ich bin Teil der Generation, die mit dem Internet groß geworden ist, nicht rein geboren, nicht mit WLAN-Nabelschnur, sondern mit 56k-Modem und der Geduld eines Mönchs. Wer damals ins Netz wollte, musste erst mal dafür sorgen, dass niemand telefoniert. Und wenn man dann endlich online war, wurde man mit einer Mischung aus chaotischer Kreativität, Neugier und dem Abenteuer digitaler Wildnis belohnt. Es war das goldene Zeitalter des Internets, bevor es von Konzernen kolonialisiert wurde.
Damals war das Netz ein bunter Spielplatz. Keine Algorithmen, die dir sagen, was du mögen sollst. Keine Influencer, die dir Detox-Tees verkaufen wollen. Es gab das Usenet, IRC-Chats, wild blinkende Homepages mit Besucherzählern und WAV-Dateien, die stundenlang zum Laden brauchten. Man diskutierte in Foren, manchmal stundenlang, ob nun Winamp oder RealPlayer besser ist, ohne dass jemand sagte „Du bist hier falsch, lies erst die FAQ!“.
Es herrschte ein gewisser Respekt. Eine Nerd-Ehre. Wer eine Frage stellte, bekam Antworten, keine halbgaren "Google doch selbst" - Phrasen. Man teilte Wissen, baute gemeinsam, lernte voneinander. Es war alles ein bisschen wie eine digitale Hippiekommune, nur mit mehr Kabeln.
Und dann kam Reddit
2005 trat Reddit auf die Bühne. Erst unscheinbar, ein bisschen unordentlich, mit einem Layout, das aussah, als hätte es jemand im Informatik Unterricht auf einer Kartoffel programmiert, aber mit Seele. Und diese Seele ist geblieben. Trotz wachsendem Hype, trotz Übernahmen, trotz der Tatsache, dass heute sogar Marken-Accounts dort ihre Memes posten. Irgendwas am Geist von Reddit erinnert mich an das alte Internet.
Hier tummeln sich Menschen aus allen Ecken der Welt: Experten, Klugscheißer, Meme-Schmiede, Hundefreunde, Menschen mit zu viel Zeit und erstaunlich viel Wissen über Dinge, die du nie googeln würdest („Wie oft kann ein Oktopus seine Farbe ändern, bevor ihm schwindlig wird?“). Und zu jedem dieser Spezialgebiete gibt es ein Subreddit. Katzen? Gibt es. Quantenphysik? Auch. Brotbacken im Mittelalter? Aber sicher.
Reddit fühlt sich an wie der letzte Ort im Netz, wo man einfach... sein kann. Wo Diskussionen noch nicht vollständig durch Like-Buttons ersetzt wurden. Wo sich Leute tatsächlich Mühe geben, ausführlich zu antworten. Wo du tief in ein Thema eintauchen und Stunden später in einem Thread über Maulwurfverhalten in Nordeuropa wieder auftauchen kannst und es fühlt sich völlig normal an.
Natürlich ist Reddit nicht perfekt. Trolle gibt es überall, und manche Threads sind so toxisch, dass du danach duschen willst. Aber unterm Strich bleibt: Reddit hat sich eine gewisse Echtheit bewahrt. Einen anarchischen, nerdigen, menschenfreundlichen Charme, wie ein digitaler Flohmarkt mit angeschlossenem Philosophie-Seminar.
Darum liebe ich Reddit. Es ist mein letzter digitaler Rückzugsort, mein Nostalgie-Zuhause, meine Zuflucht vor TikTok-Tänzen und Instagram-Filterblasen. Ich klammere mich daran fest wie Oma an ihrer hässlichen Porzellankatze. Nicht, weil es perfekt ist. Sondern weil es echt ist.
Und in einer Welt voller Hochglanzfassaden und optimierter Oberflächen ist das vielleicht das Wertvollste, was das Internet noch zu bieten hat.